Häufig gestellte Fragen, engl.: frequently asked questions, FAQ)
Der Göttinger Appell zu den Kommunalfinanzen betritt für ein lokales Bündnis weitestgehend Neuland. Im Prozess seiner schrittweisen Verbreitung gibt es verschiedene Nachfragen. Auf dieser Seite finden sich auf einige dieser Fragen erläuternde Antworten.
Die Forderung des Göttinger Appells, die Einkommen- und Körperschaftsteuer wieder auf 56 % anzuheben, wird von einigen Menschen als maßlos empfunden.
Dem gegenüber ist immer wieder zu betonen, dass trotz Krise das private Geldvermögen der Reichen weiter steigt (2008 um 200 Milliarden, 2009 wieder um 5 % bzw. 235 Milliarden €. Mit 4,7 Billionen Euro übertrifft es den bisherigen Höchststand des Vorkrisenjahres 2007; siehe FAZ vom 15.09.2010). Auf der anderen Seite wächst die Armut ständig, und den Kommunen gehen die Mittel aus, ihren sozialen Verpflichtungen nachzukommen. Eine stark veränderte Steuerpolitik wäre ein Weg, diesen Missstand zu mildern.
Warum genau 56 %? Dies ist der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer und der Satz der Körperschaftsteuer, wie er von 1975 bis 1990 galt.
Beide Steuersätze wurden seit 1990 kontinuierlich gesenkt.
Der Körperschaftsteuersatz ist noch massiver gesenkt worden als der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer, nämlich nicht nur auf 42 %, sondern sogar auf 15 %!
Aber auch bei der Einkommensteuer wurden, wie im Göttinger Appell nachzulesen, ausgerechnet die Einkommen aus Kapitalgewinnen nun durch die Einführung der Abgeltungsteuer vom Spitzensteuersatz befreit und nur noch mit bis zu 25 % besteuert.
Vor allem die Forderung, die Körperschaftsteuer auf 56% anzuheben, stößt auf Kritik, weil dabei das Problem der Doppelbesteuerung nicht berücksichtigt werde und für die deutsche Wirtschaft daraus ein erheblicher Wettbewerbsnachteil entstehe.
Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Einkommensarten muss eine entsprechende Anhebung der Körperschaftsteuer gerade resultieren.
Die Körperschaftsteuer ist die Steuer juristischer Personen (Aktiengesellschaften, GmbHs). Es ist grundsätzlich überhaupt nicht zu verstehen, warum diese steuerlich anders behandelt werden sollen als natürliche Personen. Eine Aktiengesellschaft macht Geschäfte auf eigene Rechnung und Verantwortung. Bevor sie zur Steuer herangezogen wird, werden alle Faktorkosten (das ist die Gesamtsumme aller wirtschaftlichen Aufwendungen für Maschinen, Grund und Boden, Rohstoffe, Löhne und Gehälter, darunter auch die Boni ihrer Manager) abgezogen. Der verbleibende Gewinn wird zur Besteuerung herangezogen. Er ist Einkommen und wie Einkommen natürlicher Personen zu behandeln.
Der Gewinn einer Kapitalgesellschaft wird, soweit er nicht der Rücklagenbildung zugeführt wird, an die Aktionäre als Dividende ausgeschüttet. Es kommt so bei den natürlichen Personen als Einkommen an und unterliegt der Einkommensteuer. Daher wird argumentiert, der Geldgeber der Kapitalgesellschaft werde so doppelt besteuert, einmal bei der Gesellschaft und dann bei sich selbst als natürlicher Person. Mit dieser Argumentation wurde im Jahr 2000 durchgesetzt, dass nur noch 50 % des Dividendengewinns dem steuerlichen Einkommen zugerechnet werden. 50 % bleiben steuerfrei. Dies ist entsprechend den im Folgenden dargestellten Überlegungen falsch:
Der beklagte Doppelbesteuerungseffekt besteht bei allen Gewinnerträgen.
Wenn jemand eine Wohnung kauft und vermietet, dann hat er das Geld, das er brauchte, um die Wohnung zu kaufen, in der Regel aus auch schon versteuertem Einkommen genommen. Der erzielte Mietzins wird seinem Einkommen zugerechnet und unterliegt ganz normal der Einkommensteuer, obwohl er für die Erzielung des Gewinns Investitionen getätigt hat, die wiederum aus steuerpflichtigen Einkommen stammten.
Das gleiche gilt für Sparguthaben:
Die Sparguthaben normaler Bürger stammen aus schon versteuertem Lohn. Die Zinsen werden dennoch besteuert. Neuerdings gilt das sogar für Renten. Wie hoch der Steuersatz der Einkommensteuer im Einzelnen ist, richtet sich allein nach dem Gesamteinkommen und den gültigen Freibeträgen. Was sollte dagegen einzuwenden sein? Alle Einkommen, seien sie Löhne, Tantiemen, Dividenden, Zinsen, Mieten usw., sind zu addieren und bilden gemeinsam das zu versteuernde Einkommen. Der Steuersatz richtet sich nach Maßgabe der gültigen Progressionsstufen allein nach der Höhe der Einkommen. Deshalb wäre es folgerichtig, sowohl die nur hälftige Besteuerung der Dividenden als auch die Beschränkung der Besteuerung des Zinsertrages auf nur 25 % abzuschaffen. Die Beschränkungen nützen allein den Wohlhabenden, und diese haben sie durchgesetzt.
Einige Kritiker sagen, man solle es bei dem niedrigen Steuersatz von 15 % der Körperschaftsteuer belassen und lieber die zahlreichen Abschreibungen und Ausnahmetatbestände einschränken. Dieser Einwand trägt der Beobachtung Rechnung, dass die Kapitalgesellschaften trotz niedriger Steuersätze nicht einmal diese bezahlen. Insofern gibt es eine erhebliche Differenz zwischen dem nominalen Steuersatz und dem tatsächlichen Steuersatz. 2006 betrug der nominale Steuersatz 38,65 % ( Körperschaftsteuer + Gewerbesteuer), tatsächlich gezahlt wurden nur 13,95 %. Die Regierung hat diese Steueruntreue als Argument dafür benutzt, die Körperschaftsteuer von 25% noch einmal auf 15% zu senken. So belohnt man Betrüger. Aber das kann nicht die Position von Menschen sein, die für eine Verbesserung der Situation für die Masse der Menschen einstehen.
Aus diesen Überlegungen folgt:
Würde man sowohl Einkommensteuer als auch Körperschaftsteuer auf 56 % anheben und dafür Sorge tragen, dass diese Steuern auch gezahlt würden, brächte das dem Staat mindestens 40 Mrd. € Mehreinnahmen.
Tatsächlich führen die Regierungen einen internationalen Wettbewerb um die niedrigsten Körperschaftsteuersätze, um Kapital anzulocken und dem eigenen Land Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Zu bemerken ist aber, dass sich Deutschland im Vergleich zu den Industrieländern um uns herum an die Spitze der Steuersenker gesetzt hat. (Körperschaftsteuersätze im ausgewählten Vergleich: Deutschland 15 %; Niederlande 25,5 %; Italien 27,5 %; England 28 %; Belgien 33 %; Frankreich 33,3 %; Japan 39,55; USA (Staat NEW York) 39,62 %; Quelle, Bundesministerium für Finanzen, Unternehmensbesteuerung 2009 im internationalen Vergleich). Es ist an vielen Stellen beschrieben, dass die deutsche Wirtschaft durch die (im Verhältnis zu der Arbeitsproduktivität in Deutschland) niedrigen Löhne den Nachbarn immer mehr Marktanteile abgenommen hat (siehe z.B. Wirtschaftspolitik aktuell 06-10 "Nachhilfe aus Europa" der ver.di Bundesverwaltung). Durch die geringen Gewinnsteuern in Deutschland hat sich die deutsche Wirtschaft zusätzlich auch noch einen Steuervorteil gegenüber den Konkurrenten verschafft. Es ist zu vermuten, dass die anderen Kapitalgruppen Europas dem deutschen Vorbild folgen und ebenfalls nun Löhne und Kapitalertragssteuern senken wollen. Auf der Grundlage der internationalen Konkurrenz führt jeder Rückschritt für die Masse der Bevölkerung eines Landes eben zum Druck auf die Lebensbedingungen der Bevölkerungen international. So führt z.B. die Erhöhung des Renteneintrittsalters in Deutschland auf 67 Jahre zu einem Druck auf das Renteneintrittsalter in allen Industrieländern.
Steuererleichterungen für Reiche sind weder hier noch anderswo im Interesse der Massenbevölkerung, und sie kann nicht im Hinblick auf die internationale Konkurrenz des Kapitals auf ihre Forderungen verzichten. Das Schielen auf die Wettbewerbsfähigkeit seines eigenen nationalen Kapitals führt sogar immer wieder in der Geschichte zu borniertem Nationalismus.
Diese Frage wird verschiedentlich gestellt, weil im Göttinger Appell die Anhebung des Einkommensteuersatzes auf 56 % gefordert wird. Schon Menschen, die jährliche Einkommen im Bereich von 35.000 € haben, müssen heutzutage fast einen Steuersatz zahlen wie er dem Spitzensteuersatz entspricht. Die Ursachen liegen jedoch nicht in einem etwa zu hohen Spitzensteuersatz begründet, sondern in anderen Einzelheiten des Steuerrechts, die durchaus geändert werden können. Im gegenwärtigen Steuerrecht sind die Freibeträge vor allem für Arbeitnehmer recht mickrig. Es gibt den allgemeinen Grundfreibetrag von 8004 €, dazu gibt es einen Arbeitnehmerfreibetrag, einen Vorsorgefreibetrag und einen Sparer-Pauschbetrag. Damit hat sich's.
Wenn die durchschnittliche Besteuerung der Arbeitnehmer als zu hoch angesehen wird, dann muss es also um diesen Freibetrag gehen.
Die Progressionskurve steigt wegen des zu geringen Grundfreibetrages viel zu steil an. Bei hohen Einkommen flacht sie stark ab.
Eine Antwort auf dieses Problem lässt sich also nicht anhand der Forderungen zu den Steuern für Spitzenverdiener formulieren, um die es im Göttinger Appell geht, sondern gehört in einen anderen Sektor. In den sozialen Bewegungen verbreitet sich die Forderung nach einem Grundfreibetrag der Einkommensteuer von 20.000 € pro Jahr. Da der Grundfreibetrag allen Steuerzahlern zugute kommt, hätte das selbstverständlich einen sehr stark steuerentlastenden Effekt bei allen Menschen mit nicht extrem hohem Einkommen. Diesen entlastenden Effekt hätte ein so deutlich erhöhter Steuerfreibetrag wahrscheinlich auch für diejenigen, die jetzt schon mit einem jährlichen Einkommen von rund 52.000 € den Spitzensteuersatz von 42 % bezahlen. Die detaillierte Ausgestaltung müssten jedoch Steuerexperten vornehmen. Sie gehört nicht in den Bereich des Göttinger Appells zu den Kommunalfinanzen, da seine Aufgabe darin besteht, notwendige Forderungen zu formulieren, um auf eine Wende hinzuarbeiten, den Ruin der kommunalen Finanzierung zu verhindern.
Der gegenwärtige viel zu niedrige Spitzensteuersatz von 42 % bewirkt, dass alle Einkommen über 52.000 € steuerlich begünstigt sind, weil der Steuersatz ab 42 % stagniert. Aber selbst die im Göttinger Appell genannte Grenze von 56 % beschreibt nicht das obere, denkbare Ende. Man könnte sich sogar ein lineares Progressionsmodell denken, das bis 100 % geführt wird und ab einer bestimmten Einkommenshöhe (z.B. bei 10 Millionen € pro Jahr) alles darüber Hinausgehende abschöpft.
Die Forderungen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die der Göttinger Appell formuliert, stellen also lediglich Minimalforderungen dar. Es sind die ersten durchaus möglichen und notwendigen Schritte, um entstandene folgenreiche Schieflagen zu korrigieren.